Frank Schirrmacher
Frank Schirrmacher
Hab ihn im vergangenen Herbst noch live bei einem Vortrag gehört. Einer der wenigen, die noch was zu sagen hatten, auch wenn nicht alles Gold war. Only the good die young!
Frank Schirrmacher
Hab ihn im vergangenen Herbst noch live bei einem Vortrag gehört. Einer der wenigen, die noch was zu sagen hatten, auch wenn nicht alles Gold war.
In meinem Bücherregal stehen die Doppel-CD “Das Methusalem-Komplott“ und das Buch “EGO – das Spiel des Lebens“ (Lektüre war ein sehr hartes Stück Brot).
Bevor ich mich entschlossen habe, mit “de mortuis nil nisi bene“ beginnend, einige Nachrufe auf Frank Schirrmacher (Mosaiksteinchen; vielleicht beeindruckendere Würdigungen wegen eigener Unfähigkeit, hier adäquat zu verdichten, ausgespart) miteinander abzugleichen, war es mir wichtig, mich einer exakten Bedeutung dieses Zitats zu verge-
wissern:
“Richtig übersetzt bedeutet der Satz ’de mortuis nil nisi bene...’ in Wahrheit nämlich folgendes: ’von den Toten nichts außer auf gute Weise’, das lateinische bene ist ein Adverb und kennzeichnet die Art des Sprechens als gut im Sinne von moralisch richtig, was philologisch zunächst folgende Interpretationen zuläßt:
a. Wenn man über einen Toten nichts Gutes zu berichten weiß, sollte man schweigen, oder
b. man darf zwar auch Verstorbene kritisieren, doch dies auf eine faire, gerechte Weise (da sie sich nicht mehr verteidigen können).“ (Online-Fund)
Anlass, nach “Nuancen“ Ausschau zu halten, war Dein
Einer der wenigen, die noch was zu sagen hatten, auch wenn nicht alles Gold war. …
Ein ausführlicher Nachruf aus dem engsten Kreis um Schirrmacher, d.h. der von Edo Reents, einem seiner Stellvertreter, konnte hier im Fundament über diesen Link nachgelesen werden:
http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/zum-tod-von-frank-schirrmacher-ein-sehr-grosser-geist-12986939.html
Nun in Auszügen – z. B. aus ZON - IRIS RADISCH:
“Vielleicht hat diese Besessenheit, die wir alle bewundert, unter der wir manchmal gelitten und die uns am Ende alle angesteckt hat, auch etwas mit der langen stillen Zeit zu tun, in der man seine Jugend verbringen musste, wenn man wie Frank Schirrmacher im Jahr 1959 als Sohn eines bundesdeutschen Beamten in Wiesbaden zur Welt kam. In der Windstille der Bundesrepublik, in den schier nicht enden wollenden Jahren der Kohl-Ära, muss einer, der so wie Schirrmacher darauf brannte, aufs Ganze zu gehen, entsetzlich gelitten haben. 1989 – da war er gerade dreißig Jahre alt und schon seit fünf Jahren bei der Frankfurter Allgemeinen Zeitung – war für ihn eine große Befreiung. (…) Die ersten großen Texte, die er ab 1990 als Literaturchef und Nachfolger von Reich-Ranicki schrieb, hatten sofort dieses Feuer. Es war darin ein moderner Ernst-Jünger-Ton und der ungeheure Elan eines jungen Journa-
listen, der sich nicht einfach nur an sich und seiner zweifellos brillanten Begabung entzündete, sondern an dem epochalen Gefühl: Jetzt findet Geschichte statt – und wir sind diejenigen, die sie gerade machen. (…) Das war deutlich: Das Genie seines Schreibens wurde noch übertroffen von der Genialität seiner macht-
strategischen Instinkte. Mit 34 Jahren wurde er im Jahr 1994 der für das Feuilleton zuständige Herausgeber der FAZ. Seither bestimmte er auf seiner Zeitungsbühne und als Buchautor die intellektuelle Agenda der jungen Berliner Republik. (…)
In den letzten Jahren hatte er sein großes Lebensthema gefunden und als einer der ersten vor dem Ausmaß der digitalen Revolution gewarnt. Hier, im Netz, im Kampf gegen die Übermacht von NSA und den großen Internet-Giganten ging die Schlacht um die Geschichte, die ihn elektrisierte, in die nächste entscheidende Runde. Hier war er endlich im absoluten Zentrum der Gegenwart angekommen, da, wo sie täglich neu hergestellt wird, wo ihr Herz schlägt.
Die Angstlust, die dabei immer im Spiel war, der existentielle katastrophische Ton dieser Warnungen und Kassandra-
Rufe, nach denen man süchtig werden konnte wie sonst nur nach starker Literatur, waren echt. "Ich habe das sichere Gefühl, dass die großen Tragödien und Katastrophen erst noch kommen werden, gerade für mich und meine Generation", hat er schon 1991 gesagt. Dieses Schicksalsgefühl, in dem er sein intellektuelles Leben verbracht und das ihn befeuert hat, hat sich auf aberwitzige Weise an diesem Donnerstag bewahrheitet.
Wir haben sehr viel verloren an diesem Tag. Wir – die Kulturjournalisten in Deutschland, weil er das deutsche Feuilleton so erfindungsreich politisiert, verlebendigt und dramatisiert hat. Wir – die Printmedien, für die er bedingungslos gekämpft hat. Wir – die Leser, die den wunderbaren Anarchisten, das geniale Kind, das abenteuerliche Herz dieses großartigen Journalisten vermissen werden.“
Stichwort “Ernst Jünger“ – Eine “Freundschaft“ bzw. eher die Geste einer “Weggabe“, die mich erstaunt hat:
“Es ist eines der kostbarsten Bücher in meinem Regal. Obwohl es alt und abgegriffen ist. Es ist das schönste Geschenk, das Frank Schirrmacher mir je gemacht hat. Ein Buch über die Affäre Dreyfus in Frankreich, die Ende des 19. Jahrhunderts ganz Europa in Atem hielt. Schirrmacher muss sich damals vor 10 Jahren dieses Buch für mich aus dem Herzen gerissen haben, denn: Es stammt aus dem Privatbesitz von Ernst Jünger, im Buch sind Anstreichungen von Jüngers Hand. Schirrmacher schrieb mir dazu: ’Ich schicke Dir einen der mir wichtigsten Schätze aus meiner Bibliothek. Das Buch handelt davon, wie einer von allen missverstanden wird, aber auch von der Kraft der Freundschaft.’ (…)
Er war ein Freund. Wir waren Nachbarn. Potsdamer aus Leidenschaft. Wir liebten den gleichen See, den gleichen Wald. Für mich persönlich ist Frank Schirrmachers Tod ein großer Schmerz. (…) Oft durfte ich ihn um Rat fragen. Manchmal fragte er mich um Rat. Wir führten einen Dialog, wie er noch vor 20 Jahren zwischen FAZ und BILD kaum vorstellbar gewesen wäre. Kennengelernt hatten wir uns in einem Kreis, den damals Bundespräsident Roman Herzog um sich versammelte.“ Ein Herr Kai Diekmann verfasste diese Zeilen.
Und ein anderer Potsdamer Nachbar:
“Er war ein Mensch von überbordender Intelligenz und großer Herzenswärme, voll ewiger Neugier auf Widerspruch.
Erinnerungen an das erste Mal: ein entfernter, beiderseits knapper Gruß vor etwa einem Jahrzehnt, als wir uns zufällig bei einem Spaziergang im von ihm so geliebten Potsdam-Sacrow begegneten. Frank Schirrmacher war kein Drauf-
gänger, der sich an die Menschen heranschmiss. Er war eher scheu und diskret und erst, wenn er Vertrauen gefasst hatte, zuweilen sogar von rührender Hilflosigkeit, die er ohne jeden Argwohn offen eingestand. Eine seiner stets von schärfstem Verstand gekennzeichneten Analysen mit dem Hinweis zu unterbrechen, dass er zwischendurch mal sein Hemd in die verwaschene Hose stecken solle, konterte er mit dem Geständnis, sein Outfit ohnehin nur von Tchibo zu beziehen, das dem Träger dann doch keine besondere Eleganz abnötige. (…) Wer ihm um 2.42 Uhr in der Früh eine SMS sandte, konnte zumeist mit einer Antwort vor dem Morgengrauen rechnen. Nie gerierte er sich als Besserwisser – der er natürlich in Wirklichkeit war –, sondern blieb in seinem Wissensdurst fast kindlich naiv.
Er freute sich, wenn einem Gast der von ihm kredenzte Wein schmeckte, um Stunden später zu erfragen, wie man denn eigentlich den Lidl-Pinot-Grigio von einem großen Riesling unterscheiden könne. (…)
Walter Benjamins Definition vom “fertigen Werk als der Totenmaske der Konzeption“ schien ihn rastlos anzutreiben, immer neue Debatten anzustoßen – von den demographischen Veränderungen bis zu seiner letzten großen Sorge, dass Google und Co. uns auf so gefährliche Weise beherrschen werden, wie wir uns das noch gar nicht vorstellen können. (…)
Wir waren beide auf ein sehr schönes Fest geladen, das nur einen Nachteil hatte: Es bestand Verkleidungszwang und uns verband (nicht nur) die Aversion gegen Maskenbälle. Tapfer entschieden wir uns trotzdem für uns gemäße Kostüme: Er bestand auf dem Outfit eines Ordnungshüters mit Pickelhaube aus der nur vermeintlich besseren Zeit kurz nach der vorletzten Jahrhundertwende, und ich gab den West-Berliner Schupo aus den sechziger Jahren. Keiner war lächerlicher verkleidet als wir, und so beschlossen wir am Ende des Abends, künftig gemeinsam nur noch als Dick und Doof bei den einschlägigen Kostümfesten einzulaufen. Frank hielt das für eine glänzende Idee: „Dann müssen wir uns auch nicht mehr verkleiden.“ - Günter Jauch in der FAZ -
Und so Jan Feddersen in der taz:
“Ein Freigeist? Er war zu Gast bei der taz im April 2013, beim taz.lab. Er wünschte, dass die FAZ und die taz kooperieren – denn am Ende der Zeitungskrise, so sagte er, blieben wahrscheinlich nur diese beiden Zeitungen als unabhängig im publizistischen Bereich übrig.
Er war ein angenehm unruhiger Mann, der glaubte, das Publikum der taz würde ihn, den Bürgerlichen, bestrafen, weil er so ist, wie er ist. Er bekam am Ende der Veranstaltung zur apokalyptisch anmutenden Digitalisierung der Welt starken Applaus.
http://www.taz.de/Nachruf-auf-Frank-Schirrmacher/!140273/
Gregor Dotzauer vom Tagesspiegel geht imho bei seinem Nachruf bis an die Grenzen von ’de mortuis nil nisi bene...':
“Auch (seine armen Redakteure) können ein Lied von seinem doppelten Gesicht singen. Das Maß, in dem er sie drangsalierte, demütigte, beschimpfte, maßregelte und kujonierte, wurde von vielen als dämonisch empfunden. Schirrmacher verfolgte eine Shock-and-Awe-Taktik, die arbeitsökonomisch gewiss unsinnig war, weil sie mehr Verschleiß als Produktivität erzeugte. So durften beispielsweise die Zimmertüren der Büros nicht geschlossen werden, damit jeder ständig den Blicken des Chefs zugänglich ist. Zugleich konnte sich Schirrmacher aber mit seiner ganzen Kraft und Autorität schützend vor die Mannschaft werfen, um sie vor weiteren Spar-
maßnahmen zu schützen.“
Dies wiederum sind die Schluss-Sätze von Günther Nonnenmacher in der FAZ:
“In den mehr als zwanzig gemeinsamen Jahren, die seither vergangen sind, war ich in manchen Fragen mit Schirrmacher nicht einig, aber ich habe ihn immer bewundert. Er hat mich mit seinem Charme und seiner Überredungskunst und Überzeugungskraft gewissermaßen umarmt – er war ein genialer Überwältiger, und meistens ließ man sich gerne von ihm überwältigen. Er war ein inspirierender, großartiger Kollege, als Heraus-
geber, als Redakteur, als Anreger, der unserer gemeinsamen Zeitung seinen Ideenreichtum und seine vermeintlich unerschöpfliche Kraft großzügig zur Verfügung stellte. Er lebte für diese Zeitung. Dass er dabei über seine Kräfte lebte, ist uns erst jetzt bewusst geworden. Die gesamte Redaktion hat die Nachricht von seinem Herztod zuerst mit Entsetzen, dann mit tiefer Trauer aufgenommen, weil jedem sofort klar war, welchen Verlust wir alle, und damit die Zeitung, mit seinem Tod erleiden. Er wird uns und der Republik fehlen, aber noch mehr fehlen wird er seiner Frau und den beiden Kindern, denen unser ganzes Beileid gehört."
Only the good die young!
Die Hervorh. habe ich mir erlaubt.
Frank Schirrmacher
Danke für diese Sammlung, lieber Hrdlicka. Nachdem Schirrmacher in seinem Vortrag vor der allgegenwärtigen Überwachungsmacht der Geheimdienste warnte, die wir selbst durch unsere mobilen Geräte unterstützen, gab er noch einen Buchtipp weiter, der jetzt wieder, noch ungelesen, auf meinem Nachttisch liegt: Gerd Gigerenzers "Bauchentscheidungen. Die Intelligenz des Unbewussten und die Macht der Intuition". Wie tragisch, das Schirrmacher wohl nicht auf seine Intuition gehört hat und seinem Körper zu viel abverlangte.
Frank Schirrmacher
Danke für diese Sammlung, lieber Hrdlicka. Nachdem Schirrmacher in seinem Vortrag vor der allgegenwärtigen Überwachungsmacht der Geheimdienste warnte, die wir selbst durch unsere mobilen Geräte unterstützen, gab er noch einen Buchtipp weiter, der jetzt wieder, noch ungelesen, auf meinem Nachttisch liegt: Gerd Gigerenzers "Bauchentscheidungen. Die Intelligenz des Unbewussten und die Macht der Intuition". Wie tragisch, das Schirrmacher wohl nicht auf seine Intuition gehört hat und seinem Körper zu viel abverlangte.
Nun habe ich Dir zu danken, lieber funkfreund. Und Willi von "motzbuch" wird sich über meine Bestellung freuen. Seit wenigen Minuten läuft bei mir dieses Interview vom März letzten Jahres:
http://www.phoenix.de/content/phoenix/die_sendungen/diskussionen/848566
Ich musste ganz einfach die Stopptaste der phoenix-Mediathek drücken, um mich kurz hier einzuklinken!
Schönen Sonntag allen Fundis!
Frank Schirrmacher
Ich musste ganz einfach die Stopptaste der phoenix-Mediathek drücken, um mich kurz hier einzuklinken!
Schönen Sonntag allen Fundis!
Dankeschön!
Dir auch einen schönen Sonntag