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Berlin - Tipps

Schwejk, Donnerstag, 04. Dezember 2014, 10:53 @ Olli

Diesen Berliner Veranstaltungskalender kennste sicherlich:
http://www.berlin.de/tickets/

Ansonsten die üblichen Hinweise auf Bierkombinate, Beer -Outlets & Getränkestützpunkte (Änderungen vorbehalten):

Kneipen-Typologie
Wer bin ich, und wenn ja, wo soll ich trinken?
In keiner anderen deutschen Stadt ist die Kneipenwahl so wichtig wie in Berlin. Deshalb gibt es dort für jeden die Schenke, die er verdient, ob für die digitale Boheme, für Supermuttis oder angehende Tierärztinnen beim Mädelsabend - eine Führung durch die Hauptstadtszenen von Lisa Seelig und Elena Senft.

1. Teil : Die ironisch-angesagte Kaschemme

Auf der Suche nach dem neuen Kick ist ein übersättigtes, überwiegend männliches Publikum auf die Idee gekommen, in eine bisher unbekannte Parallelwelt vorzudringen. Sie riecht nach altem Spülschwamm, Frittierfett und vor allem Rauch: in Läden, deren Luft man schneiden kann und die Schlawinchen heißen oder Molle Kühl, gern auch nach der Straße benannt, in der sie sich befinden.
Dort trifft man neuerdings nicht mehr nur Männer mit graugelbem Teint, Ballonseidenblouson und einer traurigen Erwerbslosenbiografie. Es tummeln sich dort junge Menschen, die im Rahmen ihres Junggesellenabschieds eben noch Frauen in der U-Bahn belästigt haben und ihren Abend hier bei Herrengedeck (Schultheiss und Korn) und Futschi (Weinbrand-Cola) abrunden. Weil einige Inhaber die Zeichen der Zeit richtig deuten, wird in manchen Läden nicht mehr Roland Kaiser, sondern Elektro gespielt.
Meistens funktioniert die friedliche Koexistenz; rückt ein lallender Stammgast den ungebetenen Gästen zu sehr auf die Pelle, wird er von einer beherzten Tresenkraft, blond, um die fünfzig, mit heiserer Stimme zurückgepfiffen: "Klaus, lass die Gäste in Ruhe!"

2. Teil: Die prätentiöse Bar für die digitale Boheme

103 Bar: "Ey, ich glaub, W-LAN geht grad nicht!"
Die Menschen, die hier Tannenzäpfle oder noch lieber das ökologisch korrekte Lammsbräu trinken, wurden in einem geheimen Labor geklont. Männer tragen entweder einen winzigen Schnurrbart auf der bleichen Haut oder einen Christoph-Metzelder-Vollbart und oft teure Wildlederschnürschuhe. Allen sitzen schwarzgeränderte Brillen mit riesigen Herbert-Wehner-Gläsern auf der Nase. Man ist kreativ und freiberuflich tätig, und ohne MacBook geht gar nichts - es passt so gut zu den weißen Designerstühlen, deren Weichmacher das Ökobier wieder neutralisieren.
Über Charakter, Erzeuger, Beschaffenheit und sonstige Eigenarten der Rieslinge aus Rheinhessen und vom Kaiserstuhl wird der Gast in der eleganten Menükarte ausführlich informiert. Das ist gut, denn das Personal hat Besseres zu tun, als Gäste zu beraten: zum Beispiel in den ausliegenden avantgardistischen Kunst- und Modemagazinen zu blättern. Eigentlich arbeiten die Bedienungen dieser Bars ja als Model. Gäste sind für sie ein unvermeidbares Übel.
Nachdem man also eine halbe Stunde lang verzweifelt mit den Händen gewedelt hat, kommt der Kellner irgendwann und sagt kühl: "Bleib mal ganz ruhig, ich komm gleich zu euch, wenn ich bisschen Luft hab." Lassen sich Jungschauspieler, Musiker oder andere Menschen mit hohem Promi-Faktor blicken, tut das Publikum sehr auffällig unauffällig so, als wäre es das Normalste der Welt. In New York können sich Stars ja schließlich auch frei bewegen. Daniel Brühl? So what?
 Prototyp: 103 Bar, Kastanienallee 49, Mitte
 Typischer Spruch an der Theke: "Ey, ich glaub, W-LAN geht grad nicht!"
 Publikum: Kreative als solche, Kunst-, Design- und Filmstudenten
 Verboten: zu laut vom eigenen Nine-to-Five-Job zu erzählen

3. Teil: Die semi-illegale Vereinsbar

PoPo Bar: "Können wir vielleicht mal kurz das Fenster aufmachen?"
Das blühende Untergrund-Nachtleben der Wendezeit ist ausreichend zum Mythos verklärt worden. Bis heute gibt es jedoch Menschen, die nicht loslassen können und in Altbauwohnungen, Kellerlöchern oder Ladenlokalen, die früher vorzugsweise als Friseursalon, Fleischerei oder Dönerladen dienten, "etwas aufziehen".
Der Text der wöchentlichen Flyer wird ganz bewusst aus regenbogenfarbenen Klein- und Großbuchstaben wild zusammengewürfelt. Am Eingang erhält man einen notdürftig laminierten Vereinsausweis. Der Laden verfügt über eine Tischtennisplatte oder einen ironisch gemeinten Billardtisch. "Tip is not a town in China" steht auf einem Pappschild am Tresen. Das Trinkgeld wird nicht unter den Mitarbeitern verteilt, sondern gespendet, um die Prozesskosten befreundeter Hardcore-Umweltaktivisten zu decken.
Eine ranzige Zwischennutzungsatmosphäre, erzeugt durch feuchte Wände und viel rohen Beton, ist unentbehrlich, genau wie eine Unisex-Toilette, angesichts deren man sich spätestens nach Mitternacht nach einem indischen Plumpsklo sehnt. Gern wird für die Unternehmung ein Motto wie "Verein zur Förderung der Cowboykultur" bemüht. Ein Beamer wirft Western, Szenen aus Autoverfolgungsjagden aus den sechziger Jahren oder ähnlich Trashiges an die Wand. Sollte es ein Stadtmagazin wagen, auf den Laden hinzuweisen, erwägen die Betreiber eine Klage.
 Prototyp: PoPo Bar, Tellstraße 8, Neukölln
 Typischer Spruch an der Theke: "Gibt's noch irgendwo Klopapier?"

4. Teil: Die gestrige Cocktailbar

Nachbar: "Kostet das was, wenn wir noch ein paar Erdnussflips dazu haben wollen?"
Die Läden heißen Beach Lounge oder OffenBar, es handelt sich um Relikte aus den neunziger Jahren, die aufgrund ihres schlichten Geschäftsmodells überlebt haben: Man kann sich dort billig besaufen. Die Gäste sitzen an runden, mit der Stahlbürste bearbeiteten aluminiumfarbenen Bistrotischen, die Kellner tragen "Lucky Strike"-Schürzen, es läuft die neue Robbie-Williams-Platte oder die Band Vengaboys, und im hinteren Bereich wird Billard gespielt.
Auf der Speisekarte findet man nur Toast Hawaii oder Nachos mit Käsesauce oder Guacamole. Auf den Getränkeseiten hingegen stehen hundert verschiedene Cocktails zur Auswahl, die ein Latino hinter der Bar mit großer Angeberei und standesgemäßer Barkeeper-Kür zubereitet. Zwischen 17 und 21 Uhr ist Happy Hour, da setzt er einem zwei Cocktail-Humpen vor, obwohl man nur einen bestellt hat.
Nach zwei Stunden ist der Gast betrunkener als geplant und sagt kichernd, auf dem Weg zur Toilette, so etwas wie: "Huch, bei dem ganzen Zucker hat man den Alkohol gar nicht so geschmeckt." Falls er stürzt, ist das aber nicht so schlimm: Er fällt weich, denn selbstverständlich ist der Boden der Beach Lounge aus Sand.
 Prototyp: Nachbar, Maaßenstraße 1, Schöneberg
 Typischer Spruch an der Theke: "Kostet das was, wenn wir noch ein paar Erdnussflips dazu haben wollen?"
 Publikum: Informatikstudenten, angehende Tierärztinnen beim Mädelsabend, BWL-Studenten, die vorglühen wollen und wissen, dass man nirgends für weniger Geld mehr harten Alkohol bekommt
 Verboten: um drei Minuten vor neun hereinzudrängeln und noch zwölf Cocktails zu Happy-Hour-Konditionen zu bestellen

5. Teil: Die intellektuelle In-Kneipe

Mama: "Den zweiten Band von Musils 'Mann ohne Eigenschaften' halte ich für grandios überschätzt"
Die Miete darf nicht mehr als 400 Euro im Monat betragen und die Bar sich auf keinen Fall in einem Trendbezirk befinden, denn die Betreiber sehen sich als Avantgardisten. Deswegen darf dem Etablissement auch nicht anzusehen sein, dass es neu ist, vielmehr muss es schon bei der Eröffnung den Anschein erwecken, eine feste Kiezgröße zu sein.
Unrenoviert, an den Wänden noch Reste der braunen Mustertapete des ehemaligen Polsterfachgeschäfts, wird der karge Raum mit klapprigen Nierentischen und löchrigen Fünfziger-Jahre-Sesseln ausgestattet. Wichtig: ein irritierender Name wie Fleischmöbel oder Kuschlowski. Ab 23 Uhr ist der Laden brechend voll, es legt ein transsexueller Minimal-Techno-DJ auf, und Menschen mit Brille rauchen selbstgedrehte Zigaretten und sagen, man dürfe das alles nicht so monokausal betrachten. In unregelmäßigen Abständen finden hier Lesungen von Autoren statt, die zu Recht kein Massenpublikum anziehen, oder auch Konzerte auf der Basis russischer dreisaitiger Zupfinstrumente.
Dieser Minimalismus wird durch die Getränkeauswahl wettgemacht: Die intellektuelle In-Kneipe wartet mit einer Sammlung von 200 verschiedenen Wodkasorten auf, denn da gibt es ja himmelweite Unterschiede.
 Prototyp: Mama, Hobrechtstaße 61, Neukölln
 Typischer Spruch an der Theke: "Den zweiten Band von Musils 'Mann ohne Eigenschaften' halte ich für grandios überschätzt."
 Publikum: Soziologiestudenten, Philosophiestudenten, Regiestudenten
 Verboten: beim DJ zu fragen, ob er was von Madonna hat

6. Teil: Der kinderliebe Retro-Laden

Kauf Dich Glücklich: "Sind die Waffeln mit laktosefreier Milch zubereitet?"
Erst gegen Abend ist die halbwegs problemlose Durchquerung des Raumes möglich, weil die Bugaboo-Kinderwagen langsam das Feld räumen und die Mütter das herumliegende Spielzeug wieder in den Bio-Company-Jutesäcken verstauen. Nun zeigt sich die inszenierte Rumpeligkeit des Ladens im vollen Glanz des Kitsches: verschnörkelte Samtsofas, wuchtige Tische, Siebziger-Jahre-Stehlampen, Decken, mit denen sich fröstelnde Kakao-mit-Sahne-Trinkerinnen zudecken können, und eine gut sortierte Eistheke, an der sich auch die Erwachsenen begeistert bunte Schokostreusel über den Milchkaffee streuen.
Abends wird die Norah-Jones-CD gegen Air ausgetauscht, und die Kakaotrinkerinnen geben einen Schuss Rum in die Tasse. Wer nach 23 Uhr zur Bar torkelt und, besoffen im Kleingeldfach seines Portemonnaies kramend, lallend das sechste Glas Weißwein bestellt und fragt, ob nicht langsam mal eine Runde aufs Haus angesagt sei, wird schief angeguckt. Die Tresenkraft mit dem Hennahaar lässt sich nichts anmerken. Nach dem großzügigen Trinkgeld sagt sie: "Ganz lieb, du, danke."
 Prototyp: Kauf Dich Glücklich, Oderberger Straße 44, Prenzlauer Berg
 Typischer Spruch an der Theke: "Sind die Waffeln mit laktosefreier Milch zubereitet? Sonst verträgt Finn-Noah die nämlich nicht."
 Publikum: Lehramt- oder Romanistikstudenten, hauptsächlich Mädchen
 Verboten: Koksen auf der Toilette

http://www.spiegel.de/unispiegel/wunderbar/0,1518,677566-6,00.html

Eine Auswahl aus einer speziellen Typologie:

"Mach den Kopf zu. Sie wollen vergessen? Wir zeigen Ihnen, wo es am schnellsten geht. Eine Reise ans Ende der Nacht.
http://www.tagesspiegel.de/kultur/mach-den-kopf-zu/1130820.html

ZUM HECHT
Das Grauen lag hinter uns, wir kamen aus München. Und als das Flugzeug an jenem Abend endlich 585 Kilometer weiter nördlich aufsetzte, hatten wir noch Bock auf zwei, drei entspannte Biere. „Komm mir jetzt bloß nicht mit Prenzlauer Berg“, maulte mein Kumpel und lotste mich ins „Cheers“, eine fiese Karaokebar, die im Keller eines Charlottenburger Hinterhofs versteckt ist. Wir tranken, tranken und griffen nach einigen Schnäpsen zum Mikrofon, um die Hits von Roxette zu trällern. Um 4 Uhr war Schluss. Feierabend.
Und nun? Tief im Westeeen, wo die Sonne verstaubt, tief im Weeesteeen Berlins? Am Ku’damm fiel uns nichts ein, fürs Café Keese waren wir zu aufgekratzt. Plötzlich bekamen wir eine SMS. Die Nachricht: „Sind im hecht. unglaublich. kommt rüber. am stutti.“
Der „Stutti“, Stuttgarter Platz, ist eigentlich gar kein Platz, vielmehr eine missratene Kreuzung. Dort gibt es Hochhäuser, Reisebusparkplätze und manchmal SEK-Einsätze, weil im Drogenmilieu herumgeballert wird. Dort befand sich einst die Kommune 1 mit Uschi Obermaier, dort gibt’s heute Puffs mit Namen wie Blue Bananas. Mehr Westberlin geht nicht.
Die Kneipe Zum Hecht passt sich hervorragend dem „Stutti“ an. In der Fensterscheibe blinkt rund um die Uhr die kernige Botschaft: „Hecht-Bier + Kümmel = 3 Euro“. Gut, so ein Kümmel ist eher ein schmackhaft-merkwürdiges Altherrengetränk, das Angebot aber war fair. Deshalb wunderten wir uns auch nicht, dass auf dem Tresen eine ältere Frau schlief. Der Laden war wunderbar, wirkte so assi, dass sich nie, nie Stylomaten reintrauen und nerven würden. Stattdessen kamen immer mehr kichernde Partyleute auf ein letztes Absackerbier. Wir tanzten mit Mädchen, tranken auf Atzenschaft, johlten, lachten, während Berlin hinter den gelblichen Gardinchen erwachte.
Wie der Abend endete, weiß ich nicht mehr so genau, sonst wär’s ja auch keine Absturzpinte. Aber es muss so gegen acht Uhr gewesen sein. Da hatte das Mädchen mit den blonden Locken – Lisa hieß sie, glaube ich – vorgeschlagen, zum Schlachtensee zu fahren. Vorher bestellte sie noch ein letztes „Bärchen“- Pils. Knutschen mit Kümmelgeschmack geht gar nicht. André Görke

MYSLIWSKA
Die beiden vielleicht größten und kaputtesten Sausen im Mysliwska in Kreuzberg gab es, als der Laden seine Abschieds- und Schließungsfeiern ausrichtete. Das war beim ersten Mal noch schön erinnerungsselig, voller Melancholie, hatte beim zweiten Mal aber was Routiniertes. Man wusste da schon: Der Witz mit der Schließung war gut, aber es geht hier doch immer weiter. Selbst wenn es danach tatsächlich nicht immer aussah: Das Mysliwska am Ende der Schlesischen Straße Richtung Treptow hatte von Beginn an etwas Desperates, strahlte etwas Wastelandmäßiges aus, wofür nicht zuletzt die vielen allein an der Theke sitzenden Männer zwischen 35 und 45 sorgten.
Zwei karge Räumlichkeiten mit einer Theke gleich rechts am Eingang, ansonsten Tische und Stühle, düstere Farben und Lichter, Old-School-Tapeten. Und hinter dem zweiten Raum gab es noch ein düsteres Verlies, in dem die Betreiber immer mal wieder vergeblich versuchten, ein bisschen Clubatmosphäre zu schaffen, zwei Plattenspieler und DJ–Sets gehörten sowieso immer mit zum Kneipenprogramm. Zu den Betreibern gehörte übrigens ganz am Anfang auch der in diesem Jahr verstorbene Kunstkritiker Harald Fricke, der gelegentlich davon sprach und klagte, noch mindestens 8000 Mark in dem Laden stecken zu haben,
Im Mysliwska wurde einfach alles ganz Kohl-mäßig ausgesessen und ausgetrunken – und siehe da: Irgendwann kamen die Künstler und Künstlerinnen aus den benachbarten Ateliers, die Pflumms und Richters, die Medienmenschen aus Mitte, da war das Mysliwska sogar Gegenstand einer Ausstellung im Bethanien. Noch einmal irgendwann später wurde die Schlesische Straße zur obersten Ausgehmeile, zu einer zweiten Oranien- und Oranienburgerstraße. Plötzlich mittendrin: das Mysliwska. Inzwischen ist der Laden ein Leuchtturm, der schon die schlechten Zeiten gesehen hat und trotzdem noch da ist, ein Nachtleben-Dinosaurier, so wie das Hackbarts in der Auguststraße (was man bei dessen Eröffnung auch nie gedacht hätte) oder das Luxus in der Belforter Straße. Das Schöne aber ist, dass das Mysliwska zwar jetzt so voll wie nie seit seiner Gründung Anfang der neunziger Jahre ist, das Heruntergewirtschaftete aber immer noch eines seiner hervorstechendsten Merkmale bleibt. So viel alte Säufer und Säuferinnen zwischen den vielen jungen und auch weiblichen Hüpfern wie hier gibt es in keinem der vielen neuen, hippen, aber doch eher uncharakteristischen Läden in der Nachbarschaft. Gerrit Bartels

KUMPELNEST 3000
Tatsächlich erlebt: Die Tür geht auf, zwei uniformierte Polizisten kämpfen sich zwischen dicht gedrängten Gästen bis zur Theke vor und schreien der Kellnerin über die Musik hinweg folgenden Satz ins Ohr: „Wir suchen eine rothaarige Prostituierte und einen Inder mit Turban – sind die hier?“ Kopfschüttelndes Verneinen auf der anderen Thekenseite.
Dabei ist das Kumpelnest für solche Anfragen im Prinzip die beste Adresse: Wenn irgendwo in Berlin rothaarige Nutten mit Turban-Indern tanzen, dann hier. Anderthalb winzige Räume, vollgestopft mit abgerocktem Kitschdekor, zugedröhnt mit konfusem Schlagerquark – und spätestens ab zwei Uhr nachts zum Bersten voll mit der krudesten Gästemischung, die diese Stadt zu bieten hat. Am besagten Abend etwa hätten die uniformierten Herren die Wahl gehabt zwischen mehreren Indern (durchweg turbanlos), einem Dutzend besoffener Hausfrauen (blondierte Dauerwellen, um die fünfzig), zwei baumlangen Senegalesen (eng umschlungen mit den 25 Jahre älteren Hausfrauen tanzend), drei Transvestiten (eine davon mit entblößten Plastikbrüsten), einer arabischen Haschdealergang (postiert auf dem Herrenklo), zwei völlig enthemmten Asiatinnen (auf der Theke tanzend), einem greisen Gigolo mit Hut und Einstecktuch (vor der Theke Fern-Tango mit den Asiatinnen tanzend) sowie diversen Prostituierten in allen Haarschattierungen des Regenbogens (Ausnahme: rot).
Pech für die Polizisten. Glück für alle anderen. Denn wenn gar nichts mehr geht, geht immer noch das Kumpelnest. Und wer hier reingeht, geht allein nicht wieder raus, ob er will oder nicht. Voraussagen lässt sich nicht mal, ob man den Laden um neun Uhr morgens am Arm einer rothaarigen Professionellen verlassen wird, am Turbanwickel eines glutäugigen Inders – oder in Handschellen. Jens Mühling

CCCP
Ein Uhr. Sabine schenkt nach. Wodka. Auf Sabines Ellenbogen hockt ein Marienkäfer. Er schnurrt zusammen, als sie mit langem Arm nach der Flasche im Regal unter dem Revolver greift. Mit einem Schwung füllt sie die Schnapsgläser, beugt den Arm, und der rote Käfer bläht sich auf wie ein Ballon. Irre Tätowierung.
Wir sitzen auf alten Sofas im CCCP, korrekt gesprochen SSSR: Soyuz Sovietskikh Sotsialisticheskikh Respublik. Vergessen die Welt da draußen, bauen uns eine eigene. Ist leicht hier, in diesem Loch, das sich nach der großen Sowjetunion benannt hat. Ein Raum, Sessel, Schirmlampe, Flipper, keine Fenster, aber sagenhafte Aussicht. So wie in dem Wunderland, in das Alice stürzt. Darum geht’s doch: Sich mal fallen lassen, delirieren, ein bisschen Wärme, die Völkerfreundschaft. Vergesst das Kaffee Burger, lacht über das White Trash, weint nicht länger um das Slomo!
Zwei Uhr. Wer ist bloß die große Dunkelhaarige, die mit gespreizten Beinen an der Wand neben dem Eingang hängt? Selbstbewusst, großformatig, unten rum nackt. Grimmig beäugt von Rembrandts Mann mit dem Goldhelm schräg daneben. Unter den Gemälden schläft schon einer, sie malen ihm mit Lippenstift einen Vogel auf die Stirn. Franz, der Penner, lässt sich mit dem Schläfer knipsen.
Ja, man ist ihr schnell entkommen, der schnöseligen Mitte da draußen. Der DJ, ein Mixer vor dem Herrn: Rap aus Rio, Punk aus Bukarest, Kelis, Elvis, MC5, Tschaikowsky. Der Ahnungslose, der auf der windigen Torstraße an dem dunkelroten Flachbau vorbeigeht, ahnt nichts, hört nichts, sieht nur das baumelnde Surfbrett und das Jesusplakat. Denkt sicher: zu eng, zu dunkel, zu schmuddelig, zu bescheuert, schlechte Luft, uncool. Hat er vollkommen recht. Geh nur weiter, lach nur, deine Augen werden sich nie mit Tränen füllen.
Drei Uhr. Hinter der Eingangstür sitzt eine Gepiercte auf einem Barhocker. Neuankömmlingen ruft sie zu: „Ein Euro, meine Lieben.“ Sie wird von einem Lederjackentypen vollgequatscht, der seine Blondine beeindrucken will und glaubt, er komme so rein. Er kenne ja schließlich die Chefs, Wladimir und Denis, Russen, so wie er. Sie lässt sich nicht besabbeln. Er drückt ihr zwanzig Euro in die Hand und schiebt sich zum Hinterzimmer durch, vorbei an dem Breschnew-Poster. Klopfsignal, die Schiebetür geht auf. Der Raum ist weiß wie der Hase von Alice.
Vier Uhr durch. Obligatorischer Auftritt: die Turnerin. Tanzt mit weiten Augen auf dem Teppich, macht Spagat und greift zwei Kerlen zwischen die Beine. Die denken: Da geht was. Aber sie ist bis unter die Haube voll mit künstlichem Glück, zappelt wie ein Aal. Bleibe sitzen, habe am gleichen Tisch mal mit Stipe Erceg und anderen Visagen gepokert. 90 Euro an Stipe verloren, die Sau.
Fünf Uhr. Endlich: „Hi, I’m Rebecca, do you have a girlfriend?” Was nach drei Uhr geantwortet wird, kann getrost vergessen werden. Flieg, Marienkäfer, flieg. Im Osten geht die Sonne auf. Philipp Lichterbeck

ANKERKLAUSE
Die Ankerklause, maritim-kulturelles Epizentrum eines upcoming Berliner Zwitterbezirks mit dem leicht albernen Namen Kreuzkölln, ist die beste Absturzkneipe, die ich kenne – aber nur donnerstags, wenn dort auch getanzt wird. Denn tanzen gehört zu den wichtigsten Bedingungen eines Absturzes. Wer schlaff am Tresen sitzt, ist nicht nur rein physisch gesehen unbeweglich.
Hinter der Bar hängt schon seit Jahren ein Schild: „Gedränge nur dem Dieb gefällt, drum Augen auf und Hand aufs Geld.“ Ich bin mir sicher, dass das Gedränge in der Ankerklause nicht nur dem Dieb gefällt.
Denn wenn man in der Ankerklause tanzt, reibt man sich aufgrund der räumlichen Enge automatisch an mindestens drei anderen schmucken Körpern. Ob einem das nun gefällt oder nicht: Man tritt relativ schnell in Kontakt. Mit dem Obst- und Gemüseverkäufer vom Kottbusser Damm und dem verträumten Germanistikstudenten zum Beispiel.
Kurz gefasst, die Ankerklause ist eine Abschlepplokalität erster Güte. Auch wenn man als Frau drei Beine hat und einen Buckel, wird sich jemand finden, der genau das attraktiv findet. Es herrscht nämlich grundsätzlich Männerüberschuss. Vor einem aufdringlichen Verehrer flüchten, das allerdings gestaltet sich hier extrem schwierig. Selbst auf der winzigen Toilette ist man nicht sicher.
Es versteht sich von selbst, dass man den Laden am Ufer unter keinen Umständen allein besuchen sollte. Aber zusammen mit einer guten Freundin kann man viel, viel Spaß haben. Und wenn der Morgen graut, ist das Selbstbewusstsein („Mich will sowieso keiner mehr“) wieder frisch lackiert. Esther Kogelboom
Zum Hecht, Stuttgarter Platz, Charlottenburg.
http://www.zum-hecht-berlin.de/
Mysliwska, Schlesische Straße 35, Kreuzberg.
http://www.qype.com/place/61910-Mysliwska-Berlin
Kumpelnest 3000, Lützowstraße 23, Tiergarten.
http://www.kumpelnest3000.com/

CCCP, Torstr. 136, Mitte.
http://www.qype.com/place/39291-CCCP-Berlin

Ankerklause, Kottbusser Damm 104, Kreuzberg.
http://www.ankerklause.de/

Ansonsten:
O Wild At Heart, Wiener Str. 20, Kreuzberg Club
http://www.wildatheartberlin.de/

Zosch, Tucholskystr. 30 Prenzlauer Berg
http://www.zosch-berlin.de/index.php?go=alleTermine&data=1&all=1&sess=mhd80b7sf4dnrig37er84pihe0
Matrix, Warschauer Platz 8
http://www.matrix-berlin.de/?gclid=CPmf69TLmrkCFcJc3godAQ8AU
Wohl nicht eigens zu erwähnen:
Berghain, Am Wriezener Bahnhof, 10243 Berlin Friedrichshain
http://berghain.de/
Kaffee-Burger, Torstrasse 58/60 , Prenzlauer Berg
http://www.kaffeeburger.de/
Butcher's, Torstrasse 116-118,
http://mixology.eu/bars_und_menschen/bars/butcher%E2%80%98s-in-der-torstrase-in-berlin-mitte-werden-cocktails-geflustert/
Wie insgesamt der Torstraßen-Kiez, Prenzlauer Berg
http://berlin.prinz.de/stadt/stadt-entdecken/berlin/torstrasse/zwischen-trinkhalle-und-traumloft,506798,1,Special.html

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